Internationales Erbrecht: Erbrecht Türkei
I-Einführung
Das Internationale Privatrecht bestimmt, welche der von mehreren nebeneinander bestehenden Rechtsverordnungen zur Anwendung kommen soll.
Durch die zunehmende Internationalisierung, Liberalisierung der Niederlassungsfreiheit und Erwerb des Grundvermögens durch die ausländischen Staatsbürger im Inland bzw. der Deutschen im Ausland, ist der Beratungsbedarf in Erbsachverhalte mit Auslandsberührung in den letzten Jahren ständig gestiegen.
Aufgrund der Anwerbervereinbarung zwischen Deutschland und der Türkei Anfang der sechziger Jahren, kam die erste Generation der türkischen Gastarbeiter nach Deutschland. Obwohl ursprünglich eine dauerhafte Niederlassung (auf beiden Seiten) in Deutschland nicht vorgesehen war, haben sich inzwischen über 2.5 Millionen türkischstämmige Gastarbeiter in Deutschland niedergelassen.
Während die dritte Generation der türkischstämmigen Gastarbeiter sich dauerhaft in Deutschland niederlässt und zunehmend in Deutschland investiert, haben die anfänglichen Gastarbeiter aus den Sechzigern hauptsächlich das in Deutschland verdiente Geld, geleitet vom Rückkehrgedanken, in der Türkei angelegt.
Die erste Generation der Gastarbeiter, die in Deutschland hart gearbeitet und nicht zuletzt deshalb eine geringe Lebenserwartung aufweisen, haben teilweise ein Alter über siebzig Jahren erreicht. Bei Todesfall der Eltern besteht für die Nachkömmlinge ein hoher Beratungsbedarf hinsichtlich der erbrechtlichen Fragen mit Türkeibezug. In der anwaltlichen Beratungspraxis ist auffallend, dass die Nachkömmlinge in der zweiten bzw. dritten Generation wenig Bezug zur Türkei haben und teilweise sprachliche sowie kulturelle Barrieren aufzeigen. Insbesondere bei den Nachkömmlingen aus binationalen Ehen ist auch zu beobachten, dass das Interesse an der Beibehaltung des Nachlasses sehr gering ist und die Veräußerung bzw. anderweitige Verwertung des in der Türkei belegenen Nachlasses im Vordergrund steht. Somit erstreckt sich die Beratungspraxis nicht nur erbrechtliche Fragen, sondern auch auf die allgemeinen Fragen des türkischen Immobilienrechts.
Seit die Türkei durch die Deutschen als Urlaubsziel entdeckt wurde, haben sich ca. 70.000 Deutsche in der Türkei niedergelassen. Nach Angaben des türkischen Kataster- und Grundbuchamtes besitzen bereits 19.214 (Stand 07/2009) Deutsche Grundeigentum in der Türkei. Die Städte Antalya, Alanya und Side an der türkischen Riviera stellen längst nicht mehr nur noch Reiseziele dar sondern sind für viele Deutsche eine zweite Heimat geworden.
Aufgrund der mit Deutschland verglichenen niedrigen Immobilienpreisen in der Türkei ist mit weiterem Anstieg des Immobilienerwerbs durch Deutsche zu rechnen. Jede dieser Immobilie stellt zukünftig ein Erbfall mit Auslandberührung dar. Der Vergleich mit Spanien lässt die Entwicklung und den Beratungsbedarf hier nur erahnen.
II-Rechtliches
Das deutsche internationale Privatrecht regelt in Art 25 EGBGB, dass bei der Beurteilung des anzuwendenden Rechts die Staatsangehörigkeit des verstorbenen zum Zeitpunkt ihres Todes ausschlaggebend ist.
Gemäß Art.3 Abs.2 EGBGB sind staatsvertragliche Regelungen vorrangig. Für die deutsch-türkischen Erbrechtsfälle ist der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 25.05.1929 von Bedeutung. Art.20 verweist auf das als Anlage zu dem Konsularvertrag abgeschlossene Nachlassabkommen (NA), das in §§ 12 Abs.3, 14, 16 und 18 NA erbrechtlich relevante Kollisionsnormen beinhaltet.
1-Beweglicher Nachlass wird gemäß § 14 Abs.1 NA nach dem Heimatrecht des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes vererbt. Ein türkischer Staatsangehöriger wird somit nach türkischem Recht beerbt, wo auch immer sich der bewegliche Nachlass befindet. Stirbt ein deutscher Staatsangehöriger, so findet für den bewegliche Nachlass das deutsche Erbrecht Anwendung. Diese Regelung findet auch dann Anwendung, wenn der Erblasser außerhalb des Vertragsstaates gelebt hat, in dem der unbewegliche Nachlass sich befindet (§§ 14 Abs.1, 18 NA). Stirbt somit ein türkischer Staatsbürger in Deutschland und hinterlässt er in der Türkei beweglichen Nachlass (z.B. Sparbücher) hat der Aufenthaltsort des Verstorbenen keine Bedeutung; es findet das türkische Recht Anwendung, § 18 NA.
2- Für den unbeweglichen Nachlass gilt das Recht des Belegenheitsortes (§14 Abs.2 NA). Hinterlässt ein Deutscher Immobilen in der Türkei, ist das türkisches Recht heranzuziehen. Der in Deutschland belegene Grundbesitz eines türkischen Staatsangehörigen wird nach deutschem Recht vererbt.
3- Doppelstaatler (deutsch-türkische doppelte Staatsangehörigkeit)
Das Abkommen enthält bei Mehrstaatlern keine Regelung. Zur Ausfüllung dieser Lücke wird Art. 5 S.1 EGBGB herangezogen.
Art.5 S.1 EGBGB lautet: „Wird auf das Rechts des Staates verwiesen, dem eine Person angehört, und gehört sie mehreren Staaten an, so ist das Recht desjenigen dieser Staaten anzuwenden, mit dem die Person am engsten verbunden ist, insbesondere durch ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder durch den Verlauf ihres Lebens. Ist die Person auch deutscher, so geht diese Rechtsstellung vor.“ Hiernach werden Deutsch-türkische Doppelstaatler als Deutsche angesehen (hierzu ausführlich Dörner ZEV 1996; a.A MünchKomm/Birk Art.25 Rn. 299). Folgt man dieser Ansicht, so werden die Deutsch-türkische Doppelstaatler im Hinblick auf den beweglichen Nachlass nach deutschem (§ 14 Abs.1 NA) und im Hinblick auf den unbeweglichen Nachlass nach dem Recht des Belegenheitsortes (§ 14 Abs.2 NA).
Gemäß Art. 4 türk. IPRG wird in den Fällen, in denen der Verstorbene zwei oder mehrere Staatsangehörigkeiten besitz, das türkische Erbrecht angewandt. Für die Doppelstaatler mit türkischer Staatsangehörigkeit ist Art.4 Buchst. b türk. IPRG von Bedeutung. Nach dieser Vorschrift ist das Recht der Türkei maßgebend.
Auffallend ist, dass bei Deutsch-türkische Doppelstaatlern das deutsche IPR sie gemäß Art.5 S.2 EGBGB als Deutsche, das türkische IPR sie jedoch gemäß Art.4 Buchst. b türk. IPRG als türkische Staatsbürger ansieht. Beim beweglichen Nachlass führen die beiden Regelungen somit zur konkurrierenden Lösungen. Folgt man den deutschen Lösungsansatz, so wird der Deutsch-türkische Doppelstaatler nach deutschem Recht beerbt; bei dem türkischen Lösungsansatz dagegen nach türkischem Erbrecht.
Beim unbeweglichen Nachlass dagegen hat die konkurrierende Lösung keine Auswirkungen, da das Belegenheitsortsprinzip das anzuwendende Recht bestimmt, § 14 Abs.2 NA.
Konsequenzen des deutschen Lösungsansatzes bei Deutsch-türkische Doppelstaatlern
Die Anwendung des deutschen Erbrechts (bei Deutsch-türkische Doppelstaatlern im Hinblick auf das bewegliche Vermögen) führt dazu, dass die deutschen Gerichte einen (Eigenrechts-) Erbschein nach § 2353 BGB ausstellen dürfen, da die Erbfolge dem deutschen materiellen Recht unterliegt.. Zulässig ist auch ein gegenständlich beschränkter Eigenrechtserbschein (§ 2353 BGB), insbesondere bei Nachlassspaltung für das unbewegliche Vermögen.
Der Erbe des deutsch-türkischen Doppelstaatlers kann versuchen diesen von dem deutschen Gericht ausgestellten Erbschein für den beweglichen Nachlass (z.B. Sparbücher) in der Türkei „zu verwenden“ (sofern es durch einen - deutschen - Konsul oder - deutschen - diplomatischen Vertreter beglaubigt worden ist, vgl. § 17 NA bzw. mit einer Apostille versehen ist), obwohl für die Erteilung des Erbscheins gemäß Art.4 Buchst. b, 43 türk. IPRG i.V.m § 11 türk. ZPO die türkischen Gerichte ausschließlich zuständig sind. Da die türkischen Gerichte jedoch ausschließlich zuständig sind, muss damit gerechnet werden, dass von den deutschen Behörden erteiltes Erbschein (im Hinblick auf den beweglichen Nachlass in der Türkei) unwirksam ist und in der Türkei nicht anerkannt wird. In solchen Fällen (deutsch-türkische Doppelstaatler-Erblasser ) wird daher angeraten die Erteilung eines türkischen Erbscheins bei den türkischen Gerichten zu beantragen. Sofern von den deutschen Gerichten bereits ein Erbschein erteilt ist, kann dieser (aus türkischer Sicht „unwirksame“ Erbschein) bei einem Erbscheinerteilungsverfahren in der Türkei als Beweis verwendet werden.
Bei unbeweglichen Nachlass in der Türkei führen beide Lösungswege (vgl. oben) zum selben Ergebnis. Denn unabhängig von der Beurteilung der Staatsangehörigkeit des Erblassers (deutsch-türkische Doppelstaatler) findet für das unbewegliche Grundvermögen in der Türkei gemäß § 14 Abs.2 NA das türkische Erbrecht Anwendung, so dass für die Erteilung des Erbscheins gemäß § 15 NA die türkischen Gerichte ausschließlich zuständig sind.
4- Nachlassspaltung
Verstirbt ein türkischer Staatsbürger und hinterlässt er in Deutschland beweglichen Nachlass (z.B. Barvermögen, Konten usw.) kann nach § 14 des Nachlassabkommens zum Nachweis des Erbrechts in Deutschland ein türkischer Erbschein ausreichend sein, sofern dieser entweder mit einer Apostille oder gemäß § 17 NA durch eine türkische Auslandsvertretung in Deutschland mit einer Beglaubigung versehen ist. Der Erblasser lässt sich in solchen Fällen in der Türkei einen türkischen Erbschein ausstellen. Um diesen türkischen Erbschein in Deutschland verwenden zu können muss der Erbe diesen Erbschein durch das türkische Konsulat in Deutschland beglaubigen und übersetzen lassen oder aber es wird auf Antrag in der Türkei mit einer Apostille versehen .
Alternativ hierzu hat der Erbe auch die Möglichkeit einen gegenständlich beschränkten Erbschein (sog. Fremdrechtserbschein) beim deutschen Nachlassgericht zu beantragen, § 2369 BGB.
5- Fremdrechtserbschein
Die Zuständigkeit der Nachlassgerichte wird über die Gleichlauftheorie begründet, d.h Gleichlauf von materiellem und Verfahrensrecht. Ist für einen Erbfall das deutsche Erbrecht anzuwenden, sind für die Erteilung des Erbscheins auch die deutschen Gerichte zuständig. Das anzuwendende Recht bestimmt somit die internationale Zuständigkeit der Gerichte.
Da der bewegliche Nachlass eines türkischen Staatsbürgers nach türkischem Recht beerbt wird (§ 14 Abs.1 NA) fehlt dem deutschen Nachlassgericht für die Erteilung des Erbscheins somit grundsätzlich die internationale Zuständigkeit.
Gehören zum Nachlass des türkischen Staatsangehörigen bewegliche Nachlassgegenstände im Inland (Deutschland), so entsteht zur Erleichterung von Verfügungen (z.B. Verfügung über das Konto des verstorbenen) bzw. zum Schutze des Rechtsverkehrs ein Bedürfnis nach einem inländischen (deutschen) Erbschein. Aus diesem Grund wird von dem Gleichlaufgrundsatz eine Ausnahme gemacht und gemäß § 2369 Abs.1 BGB eine internationale Zuständigkeit der deutschen Nachlassgerichte eröffnet. Hiernach kann -trotz der Anwendung des ausländischen Rechts auf den Erbfall- beim deutschen Nachlassgericht die Erteilung eines deutschen Erbscheins für das inländische Nachlassvermögen herbeigeführt werden. Dieser sog. Fremdrechtserwerbschein ist sowohl gegenständlich (d.h. auf einzelne Nachlassgegenstände, z.B. ein bestimmtes Kontoguthaben) als auch territorial (auf das Inland) beschränkt.
Voraussetzung für die Anwendung des § 2369 BGB ist die Anwendung des ausländischen Erbrechts (deshalb Fremdrechtserbschein). Sofern für den Nachlass deutsches Erbrecht Anwendung findet (z.B. für unbewegliches Grundvermögen findet gemäß § 14 Abs.4 NA deutsches Recht Anwendung) ist die Vorschrift nicht anwendbar. Hinsichtlich des unbeweglichen Nachlasses eines türkischen Erblassers in Deutschland ist die Erteilung eines gegenständlich beschränkten Eigenrechtserbscheins gemäß § 2353 BGB zu beantragen.
Verstirbt ein türkischer Staatsangehöriger und hinterlässt er in Deutschland Nachlassgegenstände ist für das bewegliche Vermögen ein Fremdrechtserbschein gemäß § 2369 BGB und für das unbewegliche Vermögen ein Eigenrechtserbscheins gemäß § 2353 BGB jeweils mit gegenständlicher und territorialer Beschränkung auf Deutschland zu erteilen.
Wie bereits dargelegt kann der Erbe (hinsichtlich der beweglichen Nachlassgegenstände) statt eines deutschen Fremdrechtserbscheins gemäß § 2369 BGB, in der Türkei einen türkischen Erbschein beantragen und diesen Erbschein mit einer Apostille versehen lassen bzw. beim türkischen Konsulat beglaubigen lassen und in Deutschland verwenden. Der Vorteil ist, dass dieser türkischer Erbschein sowohl in Deutschland (nur für bewegliches Vermögen) als auch in der Türkei (für bewegliches und unbewegliches Vermögen) anerkannt ist und somit in beiden Ländern verwendet werden kann. Sofern jedoch in Deutschland unbewegliches Vermögen vorhanden ist, muss für das in Deutschland belegene Grundvermögen zusätzlich gemäß §2353 BGB ein deutsches Eigenrechtserbschein in Deutschland erteilt werden. Denn der türkische Erbschein erfasst nicht das in Deutschland belegenes unbewegliches Vermögen und ist territorial auf das in der Türkei belegene Grundvermögen beschränkt.
6- Anerkennungsverfahren gemäß 328 ZPO
Die Anerkennung eines ausländischen Erbscheins durch ein Anerkennungsverfahren gemäß § 328 ZPO kommt mangels Rechtskraft (da Erbscheine nicht rechtskräftig werden und jederzeit geändert werden können) nicht in Betracht.